Hochsensibilität ist ein umgangssprachlicher Begriff für einen Ausdruck, der in der Wissenschaft ,SPS‘ (Sensory Processing Sensitivity) oder Environmental Sensitivity genannt wird. Diese Menschen fühlen intensiver, nehmen mehr wahr und reagieren oft auch emotionaler.
Diese (ich nenne mal) "besondere Auffassungsgabe" hat zwei Gesichter: sie kann uns tiefgründiger teilhaben lassen aber aufgrund der Überstimulation wortwörtlich reizen und überfordern.
Es ist also wichtig, von seiner Stärke zu wissen und die eigenen Antennen zielgerichtet auszufahren – sie aber gleichzeitig im richtigen Moment wieder rücksichtsvoll einzufahren.
In einem Interview der DAK mit Coach und Autorin Kathrin Sohst (die der ein oder andere vielleicht von dem Buch „Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben“ kennt) geht es darum, den „siebtem Sinn, die Feinfühligkeit und das vermeintlich Anderssein“ als Stärke für sich aber auch für andere einzusetzen – und genau das hat sich Kathrin als Coach zur Aufgabe gemacht: nämlich Menschen mit ihrer Hochsensibilität zu unterstützen und diese nicht als Belastung, sondern als Bereicherung für ein bewusstes Leben zu verstehen und einzusetzen.
Bedeutet also: die Hochsensibilität als Stärke anzunehmen und SINNvoll einzusetzen. Du bist nicht zu weich, schwach oder falsch – lass dich von deiner Wahrnehmung nicht beirren, sondern wertschätze diese tiefsinnigen Einblicke und Eindrücke. Setze sie mutig ein und dich mit deinem Umfeld auseinander. Halte auch mal einen Konflikt aus und bedenke dabei immer: du hast nicht zwingend mehr Schuld als andere, es fühlt sich nur so an.
Achte nur immer darauf, dich nicht im Außen zu verlieren und trotz aller Umsicht auch auf dich selbst Rücksicht zu nehmen.
Es sind oft Hoch- aber auch Tiefphasen, die Hochsensible durchleben, weil sie die akuten Momente (wie beispielsweise Krisen oder Konflikte) nicht nur intensiver, sondern auch klarer und lösungsorientierter angehen. Sie agieren als aktive Stütze und brauchen danach ihre Pausen (Rückzugsmomente), um neue Kraft zu tanken. #balanceistwieimmerkey
Was kann bei Hochsensibilität konkret helfen?
• Entspannung (Yoga, Spaziergänge) und Achtsamkeitsübungen.
• Achte darauf, dass die Reiz-Dichte am Arbeitsplatz oder Zuhause (also dort, wir du dich länger oder/und regelmäßig aufhältst) möglichst gering ist.
• Habe den Mut, „Nein“ zu sagen, denn was zu viel ist, ist zu viel. Hochsensibilität ist zwar eine Stärke, macht aber auch schwach (bzw. müde).
• Überfordere dich nicht und schreibe lieber ein ToDo weniger als zu viel auf – der Alltag überrascht oft genug mit ungeahnten Herausforderungen.
• Spreche offen über deine Empfindungen und nehme dich deswegen nicht zurück.
• Zu viel Mitgefühl ("Mitleiden") hilft weder den Betreffenden noch dir selbst. Achte lieber auf eine gesunde emotionale Distanz und helfe, indem du deine Empathie für ein besseres Verständnis der Situation einsetzt und daraus ableitend möglichen Lösungen vorschlägst – oder einfach nur Beistand leistest aber nicht am Mitleid zu Grunde gehst. Sei dir selbst auch wichtig genug.
„Emotionale Unsicherheit ist der größte Feind von Fortschritt, das größte Hindernis vor Selbstwertgefühl und die höchste Hürde, um feste Bindungen aufzubauen.“ (Gedankenwelt.de)
Es liegt nicht an dir, du bist nicht schuld! Es liegt aber insoweit an dir, dass dir deine falsche Selbsteinschätzung und dein mangelndes Selbstvertrauen jene Selbstzweifel einreden.
Oftmals sind die Gründe dafür zurückliegende (Kindheitsgeprägte) Erfahrungen, sodass wir keine stabile Basis in uns selbst geschaffen haben. Und aufgrund dieser Instabilität in uns, suchen wir die Bestätigung im Außen. Ziel aber ist es, auf eigenen Beinen zu stehen und mutig für uns selbst einzustehen.
Kontrolle schafft Sicherheit, schränkt aber auch ein, weil wir anstelle des intuitiven Erfahrens und spontanen Erlebens Planung und Organisation setzen. Absehbarkeit = Sicherheit. So funktionieren wir zwar, leben aber nicht. Deshalb plädiere ich für: mehr situativen Realismus anstatt strengen Perfektionismus.
Fakt ist: du bist gut genug! Die ständige emotionale Unsicherheit führt aber dazu, dass wir uns oft minderwertiger fühlen. Während sich die einen dann stillschweigend in den Hintergrund zurückziehen und/oder alle Schuld auf sich ziehen, trachten andere nach dem Überlegenheitsgefühl, womit sie ihre gefühlte Minderwertigkeit kompensieren – dass kann in Beziehungen auch negative Züge annehmen.
Was kann bei emotionaler Unsicherheit helfen?
• Höre auf, dich zu vergleichen.
• Suche die Bestätigung nicht im Außen, sondern in dir selbst. Dafür musst du nicht selten in die Kindheit zurück und beispielsweise den Irrglauben auflösen, dass du nicht liebenswert bist – denn das bist du immerzu! Es kann natürlich sein, dass wir nicht die Liebe erfahren oder wenig Aufmerksamkeit bekommen haben. Aber jetzt sind wir älter und weiser und dürfen neue Erfahrungen machen und nicht von einer grundlegenden Falschheit ausgehen. Heile deine Wunden aus der Vergangenheit ganz bewusst und nicht, indem du sie ungesund kompensierst – was oft leider der Grund für viel Leid und Persönlichkeits- aber auch Essstörungen sind.
• Du musst nicht perfekt sein.
• Achte auf deinen inneren Dialog.
• Hinterfrage durchaus, aber nicht dich selbst.
• Rede dir nichts ein, was nicht auch gesagt wurde.
• Bedenke immer, dass die meisten (genauso wie du) eher mit sich selbst als mit den anderen beschäftigt sind.
• Arbeite an deinem Selbstbewusstsein: schreibe beispielsweise jeden Tag zwei Dinge auf, worauf du stolz bist.
• Traue dich aus deiner Komfortzone und sammle so nicht nur stolze Momente, sondern wachse gleichzeitig an den Erfahrungen. Und du wirst feststellen, dass die Angst meistens unbegründet ist.
• Bleib zuversichtlich und optimistisch. „Unsicherheit kann schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden.“ wie es in einem Beitrag auf karrieebibel.de zum Thema Unsicherheit heißt. Und auch Seneca sagt mal: „Der unsichere Geist fürchtet, obwohl er zu wissen begehrt.“ (Seneca) Folge lieber deinem neugierigen Antrieb und lass dich von dir selbst und dem Leben positiv überraschen.
• Und auch wenn: ist das Worst-Case-Szenario wirklich so schlimm?
Und jetzt drehen wir noch einmal eine Schleife und kommen auf die Essstörung zu sprechen.
Ich denke, dass du schon einige Parallelen feststellen konntest und das Thema Unsicherheit genauso wie die Hochsensibilität eine Essstörung bedingen oder die Folge dessen sein können – vor allem die Unsicherheit.
Zum einen ist Essen immer Emotionen, die wir uns geben. Frustessen, Belohnungsessen, Stressessen kennt jeder, aber dieses reaktive Essen kann auch ungesunde Extreme annehmen.
Andere wiederum bauen eine unbeugsame Strenge auf und findet im Verzicht jene Sicherheit, die sie sonst nicht haben.
Beim Essen oder Nicht-Essen fechten wir unsere innere Unruhe und Unausgeglichenheit aus. Genauso übertragen wir den eigenen Perfektionismus auf unser Essverhalten.
In einem schönen Beitrag von Inga auf zart-stark.de schreibt sie: „Oft befassen sie sich aus gesundheitlichen Gründen intensiv mit ihrer Ernährung und verlieren sich mitunter in Selbstoptimierungsbemühungen, in den eigenen hohen Ansprüchen oder in den Erwartungen ihres Umfeldes bzw. den Schönheitsidealen der Gesellschaft.“ Und gerade letzteres ist ein gemein gefährlicher Trigger, der oft einfach nicht der Realität entspricht aber eine falsche Vorstellung aufdrängt (bzw. ungesunden Filter aufsetzt).
Leistungsgetrieben vernachlässigen wir uns selbst, bis der Körper sich früher oder später holt, was ihm fehlt – es kommt zu übermäßigen Essattacken. Was aber bleibt ist der Hunger, weil wir einen inneren Mangel haben und diesen dann mehr oder weniger ungesund zu kompensieren versuchen. Deshalb ist es so wichtig, genauer hinzuschauen, um den gesunden Ausgleich zu schaffen.
Deshalb frage dich jetzt einfach mal ehrlich: Wonach hungerst du?
Andersherum gedacht, kann Unsicherheit auch eine direkte Folge der Essstörung sein. Ich habe es selbst erlebt und spüre noch immer, wie mir das Selbstvertrauen fehlt.
Jahre lang nämlich habe ich versucht, meine Essstörung nach Außen zu vertuschen, mich zu rechtfertigen und mich irgendwann der Gesellschaft und damit der Konfrontation mit meinen Ängsten (dem Essen) aber auch dem Vorwurf und den Anschuldigen zu entziehen, eine Essstörung zu haben – was aber nun mal der Fall war.
Und auch heute fällt es mir nicht immer leicht, mich in einem neuen Umfeld zurechtzufinden und mit neuen Situationen zu arrangieren. Vielen gibt die Essstörung nämlich ein Gefühl von Sicherheit, obwohl sie uns eigentlich Freiheit und Erlebnis nimmt – unsere Lebensfreude! Auch wenn ich in der Essstörung nicht mehr meinen Halt habe, spüre ich dennoch, wie sich manchmal alte Muster einschleichen und die Situation kontrolliert werden will. Aber genau diese Momente sind dann unsere Chance, der Essstörung zu widersprechen und Vertrauen aufzubauen, durchzuatmen und sich den ungewohnten Umständen hinzugeben. Denn sei dir sicher: es passiert nichts, ganz im Gegenteil: wir lernen wieder frei zu leben und wirklich mündig zu sein.
Auch ich muss mir dessen immer wieder bewusst werden, mein Verhalten achtsam beobachten und die Sorgen unterbrechen. Es ist nur verständlich, dass sich alte Muster zeigen (immerhin hat die Essstörung 12 Jahre mein Leben regiert), aber mein Leben liegt jetzt wieder in meinen Händen. Ich habe mich der Macht und Gewalt der Essstörung bewusst entzogen und meine Freiheit lass ich mir nicht mehr nehmen.
Und doch weiß ich auch, dass ich noch nicht gänzlich frei bin – aber dafür arbeite ich weiter. Und mit dem innerlich und äußerlich geschaffenen (Frei)Raum – weil sich eben nicht mehr alles nur ums Essen bzw. die Essstörung dreht – erfahre und erlebe ich endlich die Fülle an Möglichkeiten, die das wahre Leben mit sich bringt. Ein MEHR, was die Essstörung über Jahre überschattet hat. Ich verlagere endlich wieder meinen Fokus, bin und mach mich frei, wachse und werde meiner sicher und bewusst. Und das gelingt mir vor allem deshalb, weil ich nichts mehr zu verbergen habe.
Quellen:
https://www.dak.de/dak/meine-gesundheit/hochsensibilitaet-2340948.html#/
https://gedankenwelt.de/wenn-uns-mangelndes-selbstbewusstsein-schwaecht-emotionale-unsicherheit/
https://karrierebibel.de/unsicherheit/
https://www.zart-stark.de/hochsensibilit%C3%A4t-und-essst%C3%B6rungen/
https://www.netdoktor.de/krankheiten/hochsensibilitaet/