Körperbild & Wahrnehmungsstörung.

 Der eigene Körper ist oft das zentrale Problem in der Essstörung bzw. am eigenen Körper fechten wir unseren Unmut, unsere Unruhe, unsere Unausgeglichenheit aus. Hat dir dein Körper deswegen schon  Leid getan? Denn das sollte es!

Wenn du dir deine Geschichte nämlich mal von seiner Perspektive aus ansiehst, kann man sich nur schämen. Und obwohl unser Körper zum Schuldigen und Leidtragenden gemacht wird, tut er alles, damit du überlebst, damit du die ungesunden Kräfte überstehst und endlich zur Einsicht kommst, dass dein Körper es zu jeder Zeit gut mit dir meint.

Dein Körper ist für dich! Bist du es auch?

Ich möchte dir heute helfen, dass du dich mit anderen, liebevollen Augen siehst. Dass du begreifst, dass die Essstörung deinen Körper für ihre Zwecke missbraucht. Und dass du dich, anstatt mit der Essstörung, viel lieber mit deinem Körper verbinden solltest. Denn das ist ein starkes Team. Dieses Team hat langfristig Bestand und diesem Team wohnt ein ungeahntes Potenzial inne, was die Essstörung gerade jedoch versucht, für immer zu ersticken. Lass das nicht zu!

Aus diesem Grund widmen wir uns heute unserem Körper und unserem Selbst- bzw. Körperbild. Denn leider ist unser Bild von uns selbst oftmals surreal – also nicht real – und viel mehr ein Spiegelbild unserer Ängste. Wenn wir also in den Spiegel schauen, sehen wir nicht uns, sondern eine Projektion jener maßregelnden Instanz in unserem Kopf: die Essstörung. Und für die Essstörung sind wir nie gut genug, nie dünn genug, nie schön genug. Sie jagt einem ungesunden, aber auch nicht definierbaren Ideal hinterher, denn es wird immer nicht ausreichen, es wird immer mehr und besser gehen, bis plötzlich gar nichts mehr geht und wir den Moment verpassen, wo wir unser Leben noch hätten retten können.

Dieser teuflische Blindflug kann dramatisch enden, weil wir nicht mehr wahrnehmen, gekonnt ignorieren und irgendwann dann kaum mehr spüren, wie wir die eigene Zwangsjacke immer enger schnüren. Wir schauen durch den Spiegel hindurch oder gar nicht mehr hinein, weil die Wahrheit tief im Herzen wehtut. Deshalb ignorieren wir, bis wir diesen Schmerz irgendwann nicht mehr spüren.

Was möchte ich dir damit sagen: dass du dir gerade noch nicht trauen kannst, weil die Essstörung das Sagen hat – aber nicht das letzte Wort… denn das hast du.

„Körperwahrnehmungsstörungen und Schwierigkeiten mit der Körperakzeptanz 
sind ein Hauptproblem bei der Behandlung von Essstörungen.“

 

Mehrere Studien zeigten einen direkten Zusammenhang zwischen der Körperunzufriedenheit und einer bulimischen Symptomatik und Stice bestätigte in einer Metaanalyse aus dem Jahr 2002 die hohe Bedeutung der Variable „Körperunzufriedenheit” als Risikofaktor für die Entwicklung von Essstörungen: „This variable emerged as one of the most consistent and robust risk and maintenance factors for eating pathology” (Stice, 2002, S. 832).
Bedeutet also, dass für die Behandlung zwingend ein Augenmerk auf die Probleme mit dem eigenen Körperbild geworfen werden müssen, weil sich in der Angst „zuzunehmen“ oder „zu dick zu sein“ oft DIE zentrale Angst zeigt, die uns aufhält, etwas zu verändern.

Diese Angst gilt es zu überwinden, um ins gesunde Machen (was oft einfach „nur“ essen bedeutet) zu kommen und der Angst damit ihre Dramatik zu nehmen: denn es passiert nichts.
Damit ist die Ursache hinter jener Angst aber noch nicht geklärt: falsche Glaubenssätze, die wir aufgrund von gesammelten Erfahrungen abgeleitet haben. Auch bei mir rührte die Angst aus dem Trugschluss: mich kontrollieren zu müssen, was ich mit einer anfangs vermeintlich harmlosen Diät bediente und daraus schließlich ein gefährlich restriktives Essverhalten = die Essstörung wurde.


Um das eigene Körperbild wieder ins rechte Licht zu rücken, müssen wir jene Glaubenssätze korrigieren und uns durch das überwindende Machen eines Besseren belehren: nämlich dass wir keine Angst vor dem Essen haben brauchen. Mehr noch: Essen ist Freund, nicht Feind und meint es – genauso wie unser Körper - gut mit uns.

Mit „einfach Machen“ ist es dann aber nicht immer getan, sondern oftmals hat sich eine Körperschemastörung eingeschlichen, die die eigene Wahrnehmung verzerrt und die für die Recovery notwenigen Schritte zusätzlich erschwert. Und genau deswegen müssen wir uns wieder mit gesunden Augen sehen und bewerten lernen. Aber wie gelingt uns das?

Viele vermeiden es, sich im Spiegeln anzusehen und sich mit der Wahrheit zu konfrontieren, die in ihren Augen aber nicht immer die Wahrheit ist. Oftmals kommt hier ein „Schwarz-Weiß-Denken” oder eine „Selektive Abstraktion” hinzu (also das verzerrte Bild von bestimmten Körperteilen).

Als therapeutische Interventionen kommen konfrontativ-behaviorale sowie kognitive Vorgehensweisen zum Einsatz. Behaviorale Techniken sollen Patientinnen mit ihrem Vermeidungsverhalten bzw. ihrer Krankheitsverleugnung konfrontieren sowie ein „emotionales Priming” fördern, um die körperschemarelevanten Gedanken zu aktualisieren.

Mit Priming ist in der Psychologie der Effekt gemeint, dass ein Vorbreitungsreiz die Reaktion auf einen späteren Reiz beeinflusst. Also es wird aktiv provoziert, dass die eigene Wahrnehmungsreaktion bei der nächsten Konfrontation anders ausfällt – und das langfristig zu Gunsten der gesunden Einschätzung seiner selbst.

Praktische Übungen zur realistischen Wahrnehmung seines Körpers
Damit wir uns einem realistischen Körperbild annähern, muss oft erst das phobische Vermeidungsverhalten angegangen werden – und das am besten Schrittweise.

Schritt 1: die Seilübung

Hierbei geht es um die Abschätzung der Länge bzw. des Umfangs eines Körperteils mit zwei Seilen. Das eine Seil soll subjektiv messen, das andere objektiv und am Ende werden beide Ergebnisse miteinander verglichen. Das kann eine erste Diskrepanz in der Einschätzung aufzeigen: was sehe ich vs. was glaube ich, das andere sehen.

Schritt 2: Körperumrisszeichnungen

Lege ein etwa 2x1m großes Stück Papier auf den Boden (oder hänge es an die Wand) und zeichne mit einer durchgezogenen Linie aus der Vorstellung heraus deinen lebensgroßen Körperumriss, wie du ihn dir vorstellt (subjektive Vorstellung). Anschließend legst du dich auf das gleiche Stück Papier (bzw. stellst dich an die Wand) und lässt dir von jemand anderen deinen realen Körperumriss mit einer anderen Farbe nachzeichnen (objektive Wahrnehmung).

  • Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf, wenn du deinen Körperumriss an der Wand siehst?
  • Bestehen Unterschiede zwischen subjektivem und objektivem Umriss?
  • Welche Gedanken/Gefühle hast du dazu?
  • Hast du dir bestimmte Körperteile/Proportionen anders vorgestellt?
  • Wie sollte dein Körperumriss aussehen?
  • Wie siehst du deinen Körperumriss im Vergleich zu den anderen?
  • Wie sehen die anderen dein Körperbild?

Schritt 3: Videokonfrontation

Die verkleinerte Darstellung der eigenen Figur auf dem Bildschirm kann dir helfen, dich von der eigenen verzerrten subjektiven Haltung zu distanzieren und die eigenen Körperproportionen objektiver und oft auch realistischer einzuschätzen.Fange mit der Einschätzung der Ganzkörperaufnahmen an, denn oft sind wir auf bestimmte Körperteile in der Körpermitte (Bauch, Po, Hüfte Oberschenkel) fixiert, was ein erstes wichtiges Indiz für die Therapie darstellt.
Um eine ganzheitliche, realistische Beschreibung des Körpers mit entsprechender Habituation zu fördern, sollten alle wesentlichen Körperteile beschrieben und die Adjektive „dick” und „dünn” möglichst vermieden werden.
Durch Wahrnehmungsfokussierung, ganzheitliche Wahrnehmung und Vergleiche der Körperproportionen sollst du in die Lage versetzt werden, deinen Zustand selbst real zu erkennen, ohne von außen korrigiert zu werden. Ziel ist es, eine so genannte Flexibilisierung der Wahrnehmung zu fördern, um darüber herauszufinden, welche Wahrnehmungsmuster zu einer Fehlinterpretation der Figur führen.

  • Bestehen Unterschiede zwischen Realbild und Vorstellungsbild?
  • Was siehst du?
  • Worauf fokussierst du dich?
  • Was blendest du aus?
  • Welche Gründe könnten dafür vorliegen, dass dein gesamter Körper (noch) unproportional aussieht?
  • Welche Körperbereiche hattest du dir dicker/dünner vorgestellt?
  • Was gefällt dir an deinem Körperbild?
  • Welche Körperbereiche gefallen dir nicht?
  • Wie sollte dein Körper aussehen?

Viele Patient:innen mit einer Essstörung lehnen ihren Körper deshalb ab, weil er nicht einem angestrebten Ideal (z.B. Schönheitsideal) entspricht oder er diesem Ideal nach einer Gewichtszunahme nicht entsprechen könnte. Ein häufiger Lösungsversuch ist die strikte Kontrolle des Körpers. Kognitive therapeutische Interventionen fokussieren die Vor- und Nachteile sowie die langfristigen Erfolgsaussichten dieser Kontrollversuche. Typische dysfunktionale Denkmuster sollten benannt werden, um den Patientinnen die Möglichkeit der Generalisierung zu erleichtern:

  • „Alles-oder-nichts-Denken” („Entweder ich sehe perfekt aus, oder ich bin hässlich!”)
  • „Selektive Wahrnehmung” („Meine Oberschenkel sind zu breit, deshalb sieht der ganze Körper unmöglich aus!”)
  • „Emotionale Beweisführung” („Ich fühle mich zu dick, also bin ich zu dick!”)
  • „Übertriebene Verallgemeinerung” („Ich bin früher in der Schule wegen meines Hinterns gehänselt worden. Das wird mir wieder passieren!”)

Diese klare Benennung kann helfen, tiefsitzende Glaubenssätze aufzubrechen und in Frage zu stellen.
Inhaltlich können zudem folgende Fragen konfrontativ gestellt werden:

  • Welche Folgen hat die restriktive Ernährung bzw. das niedrige Gewicht für deine Gesundheit, das soziale Miteinander, deine berufliche Situation etc.?
  • Kannst du durch die Gewichtsabnahme längerfristige Lebensziele wie Glück, Zufriedenheit und Selbstbewusstsein erreichen?
  • Wie viel Prozent der Menschen haben eine Idealfigur? (1-2%)
  • Wie können andere Menschen ohne ideale Figur leben?
  • Gibt es neben dem Aussehen noch andere Faktoren, mit denen du Zufriedenheit, Selbstbewusstsein und Anerkennung erreichen kannst?

Ziel ist es, die Flexibilisierung des Denkens zu üben. Bespreche deine Gedanken und Bewertungen z.B. mit einer Freundin. Kannst du ihre konträre Rückmeldung zu deiner eigenen Körperwahrnehmung annehmen? Kannst du ihre Sichtweise als wahr in Erwägung ziehen und deine eigene kritisch hinterfragen?

Schritt 4: Spiegelkonfrontation

Selbstbetrachtungen stellen die direkteste Form der Konfrontation dar. Hier werden erfahrungsgemäß die meisten wahrnehmungsbezogenen und kognitiven Vermeidungsstrategien bzw. Denkfehler deutlich. Wie gehst du vor:

  • Stelle dich vor einen Ganzkörperspiegel und beschreibe einzelne Teile deines Körpers sowie die Körperproportionen.
  • Beschreibe möglichst wertfrei, z.B. mit folgenden Adjektiven: „schmal” oder “breit” anstatt „dick“.
  • Beschreibe deinen Bauch. Ist er rund, flach, wenig oder stark gewölbt?
  • Beschreibe deine Taille und deine Hüfte. Ist sie schmal oder breit, ausgeprägt oder kaum erkennbar, weich oder hart/knochig?
  • Beschreiben deine Oberschenkel. Sind sie schmal oder breit, straff oder weich? Ist der Abstand zwischen dem linken und rechten Oberschenkel groß oder klein?
  • Beschreiben deinen Po (Drehe dich dabei zur Seite). Ist der Po flach oder rund, straff oder weich, glatt oder dellig?
  • Ist deine Haut straff oder schlaff? Warum?

Nach der Beschreibung der wesentlichen Körperteile gibt dir dein:e Gesprächspartner:in Rückmeldung über identische oder abweichende Beobachtungen zur Körperform. Die Gesprächspartner:innen sollten darauf geachtet, niemanden zu „überreden”, sondern eine „weitere Bewertungsmöglichkeit” der Körperform anzubieten.

Bei anorektischen Patientinnen können z.B. folgende Gesichtspunkte besprochen werden:

  • Kann es sein, dass die Wölbung deines Bauchs nur deshalb so auffällt, weil der Rest des Körpers so abgemagert ist?
  • Welche unterschiedlichen Erklärungsmöglichkeiten gibt es dafür, dass deine Körperproportionen „komisch” aussehen (z.B. Schultern zu breit)?
  • Welche Bedeutung könnte das deutliche Untergewicht (z.B. Becken noch zu schmal) diesbezüglich haben?
  • Wie könntest du mit 5-10 kg mehr Gewicht aussehen?

Typische Leitfragen für bulimische Patientinnen sind:

  • Kann es sein, dass du deinen Körper nur in Schwarz-Weiß-Kategorien betrachtest? Ideal oder hässlich? Gibt es auch Bewertungen dazwischen?
  • Gibt es einzelne Körperteile, die du magst?
  • Gibt es neben dem Aussehen noch andere Kategorien, nach denen du deinen Körper einschätzen könntest?

(An)erkenne deinen Körper

1. ... mit einer Chakra-Meditation: vor allem die Chakra-Meditation von und mit Laura Malina Seiler hat mir geholfen, mich mit meinem Körper zu verbinden.

2. ... mit liebevoller Zuwendung: umarmene dich selbst, lächle dir im Spiegel zu und arbeite mit täglichen Affirmationen.

„Ich möchte gesund werden!“
„Ich lerne, mir zu vertrauen.“
„Ich lerne mich und meine wahrhaftigen Bedürfnisse endlich kennen!“
„Ich freunde mich immer mehr mit meinem Körper an!“
„Mein Körper meint es gut mit mir – jetzt meine auch ich es gut mit meinem Körper.“

Auf www.die-inkognito-philosophin.de habe ich einen weiteren schönen Tipp gelesen: Schreibe dir jene positiven Affirmationen auf einen Zettel und klebe sie an deinen Spiegel, wo du täglich liebevoll hineinsiehst. Die Zettel, die du dann zeitgleich dort siehst, zahlen positiv und wirkungsvoll auf eine liebevolle Haltung dir gegenüber ein. Denn so verbindest du allmählich dein Spiegelbild mit diesen positiven Nachrichten und wohltuenden Gefühlen der Wertschätzung. 

"Aus dem Kopf ins Herz. Die liebevollen Worte und Gedanken wandern in dein Herz und werden deine neue Überzeugung und Bewertung."

3. ... mit positivem Relativieren:

„Ich lerne damit umzugehen, noch fällt es mir schwer, aber ich weiß, dass diese Schritte notwendig sind, um gesund und frei zu werden.“
„Ich fühle mich noch unwohl, aber mein Körper fühlt sich in Wahrheit wohl und ihm geht es so viel besser.“
„Ich bin für mich, meinen Körper und unsere Gesundheit.“

4. ... mit Dankbarkeit und Wertschätzung: Du bist wertvoll! Einzigartig! Ein Wunderwerkl Mach dir das bewusst und an Situationsbeispielen klar. 

Hier ein erstes Situationsbeispiel: Es riecht nach etwas Angebranntem und mein Körper warnt mich rechtzeitig über meine Sinneszellen, sodass ich noch rechtzeitig in die Küche renne und den Topf vom Herd nehme.

Und ein zweites: ich bin unglücklich gestürzt und habe dadurch eine kleine Verletzung am Arm. Es blutet etwas, doch nur nach wenigen Minuten hört es bereits auf, weil die Gerinnungskaskade bewirkt, dass das Blut an der verletzten Stelle gerinnt. Es bildet sich ein starkes und stabiles Netz von Fibrinfasern, einer Art körpereigenem Klebstoff. Die Fibrinfasern führen zusammen mit dem Thrombozyten-Pfropf schließlich zum Verschluss der Verletzung – das ist doch der Hammer, oder????

5. ... mit dem „Ich bin dankbar für und stolz drauf – Tagebuch“: Schreibe auf, worauf du stolz bist, aber auch, wofür du dankbar bist und hier konkret auf dich als Person und auf deinen Körper bezogen.

... in diesem Sinne: sei gut zu dir, dein Körper ist es auch!


Quellen:
- https://sbt-in-berlin.de/cip-medien/2005-1-15-Bose.pdf
- https://www.die-inkognito-philosophin.de/blog/koerperbild-koerperliebe-4-uebungen
- https://www.haemcare.de/haemophilie-verstehen/blutgerinnung.html#:~:text=Die%20Gerinnungskaskade%20bewirkt%2C%20dass%20das,Pfropf%20zum%20Verschluss%20der%20Verletzung


 

 
 
 
 
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